ZEIT ONLINE: Die Mehrheit der Deutschen ist überzeugt: Da draußen gibt es Aliens! Eine aktuelle Umfrage (YouGov, 2015) belegt sogar: 56 Prozent glauben an eine intelligente extraterrestrische Lebensform. Was glauben Sie?

Michael Schetsche: Ich glaube gar nichts, ich bin Wissenschaftler. Aber ich halte das nach allem, was ich über die Beschaffenheit unseres Universums weiß, nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlich. Die Frage ist eher, wie viele Zivilisationen es in der Milchstraße gibt. Bei 200 Milliarden Sonnen ist das für mich als Soziologe nicht abschätzbar.

ZEIT ONLINE: Überrascht sie diese starke Alien-Gläubigkeit?

Schetsche: Insofern, als dass die Menschen von intelligentem, also äußerst komplexem fremden Leben überzeugt sind. Ansonsten decken sich die Zahlen mit früheren Studien. Da zeigte sich: Je höher der Bildungsgrad ist und je stärker sich die Leute mit Naturwissenschaften und Technik befassen, desto eher meinen sie, es müsse außerirdische Intelligenz geben.

ZEIT ONLINE: Was meinen Wissenschaftler genau, wenn sie von "außerirdischem Leben" sprechen?

Schetsche: Wir reden von drei Dingen: Erstens, Leben generell. Das kann alles mögliche sein, Mikroorganismen etwa. Sie könnten auf dem Mars oder den Eismonden in unserem Sonnensystem existieren. Zweitens, komplexes Leben, das Pflanzen und Tieren auf der Erde ähnelt. Im Sonnensystem gibt es das wohl nicht noch einmal, da ist sich die Forscher-Community sicher. Weiter entfernt aber haben Astronomen schon viele Orte entdeckt, auf denen solche Wesen existieren könnten. Die dritte Stufe ist intelligentes Leben: Es ist komplex, denkt über sich selbst nach und kann kommunizieren.

ZEIT ONLINE: Was sind die bisher besten Belege für weitere Lebewesen im All?

Schetsche: Belege gibt es überhaupt nicht. Die haben wir erst, wenn jemand etwas Organisches, Komplexes findet, das nicht von der Erde stammt. Vorher sprechen wir von Indizien. Eines ist, dass die Erde kein besonderer Ort ist. Überall im Universum gelten die gleichen Grundregeln: Wenn hier unter bestimmten Bedingungen flüssiges Wasser existiert, wird das 1.000 Lichtjahre entfernt unter denselben Bedingungen ebenfalls der Fall sein. Ein anderer Punkt: Das Leben auf der Erde ist sehr früh entstanden, nur ein paar hundert Millionen Jahre, nachdem die Oberfläche der Erde fest geworden war. Das Leben hat sich also nicht viel Zeit gelassen. Die Folgerung: Wenn das hier so schnell passiert ist, geht das auch anderswo.

ZEIT ONLINE: Die Nasa – und die Mehrheit der Deutschen – sind überzeugt, dass sich in den nächsten 20 Jahren Beweise finden lassen. Zumindest für Mikroorganismen. Was meinen Sie?

Schetsche: Das ist überhaupt nicht zu sagen. Ich beschäftige mich zwar mit Futurologie, aber da weiß man halt auch: Solch unerwartete Ereignisse lassen sich nicht vorhersagen. Nasa und SETI-Forscher sagen das, weil sie ihre Programme finanziert haben wollen. Wir sind sicherlich in 20 Jahren so weit, dass wir biologisches Leben auf dem Mars entdecken könnten, sofern es unserem ähnelt. Um es für die Eismonde des Saturns herauszubekommen, können noch 50 Jahre vergehen.

ZEIT ONLINE: Wie wird derzeit nach fremden Wesen gesucht?

Schetsche: Das kommt ganz auf die Art an. Die Suche nach Leben überhaupt ist die Aufgabe der Astrobiologie. Die Forscher schauen sich an, an welchen extremen Orten  auf der Erde Organismen überleben können – an den Polkappen, in Wüsten, unter dem Meeresgrund – und vergleichen diese Lebensräume dann mit Regionen auf anderen Planeten und schicken Sonden dorthin. Auf dem Mars hat man das gemacht; allerdings ohne zu überlegen, wie man die Funde dann tatsächlich analysiert.

Nach intelligenten Wesen muss man anders suchen. Sollte es eine fremde Kultur geben, kann sie sicherlich kommunizieren. Etwa mit Radiowellen. Deshalb gibt es SETI-Projekte, die gezielt nach Signalen aus dem All suchen und auch selbst welche senden.

"Die Grundannahme, die Fremden seien wie wir selbst, ist ein Problem"

ZEIT ONLINE: SETI hat jüngst wieder eine Finanzspritze bekommen, sogar Star-Physiker Steven Hawkings mischt mit. Übereifer oder gesunder Forschergeist?

Schetsche: Erst mal ist es schön, dass sie viel Geld bekommen haben. Aber Projekte dieser Art gibt es schon ziemlich lange und der Erfolg ist bisher Null. Das kann verschiedene Ursachen haben. Meiner Meinung nach ist die Suchstrategie zu eng. Die Grundannahme, die Fremden seien wie wir selbst, ist ein Problem. Radioastronomen suchen andere Radioastronomen. Wenn das Leben aber eine andere Technologie nutzt, können wir sie gar nicht finden. Zum Beispiel wird nicht nach automatischen Raumsonden in Erdnähe gesucht.